Kategorie: Medienberichte

Netzfund: gendersterntaler.de

Profunde Kritik am Gendern gibt es zuhauf. Eine Übersicht lesenswerter  Presseartikel und interessanter Videos enthält die Webseite www.gendersterntaler.de. Das Portal wird betrieben von Judith Faessler, Friedrich Forssmann und Ingo Meyer, der für seinen beachtenswerten Artikel „Das Märchen vom Gendersterntaler“ mit dem Theodor-Wolff-Preis 2022 in der Kategorie „Meinung“ ausgezeichnet wurde.

Die Begründung für die Sammlung, die laufend erweitert werden soll, ist wohltuend sachlich und schlicht:

„[W]ir finden die Argumente der Gegner viel überzeugender als diejenigen der Befürworter.“

Dem kann ich mich nur anschließen. Bis zum heutigen Tag hat mich kein Argument für die „gendergerechte Sprache“ überzeugt.

Bei der Beschäftigung mit dem Thema ist allerdings eine wertvolle Erkenntnis in mir gereift. Es gibt eine erstaunliche Menge an Wissenschaftlern und Journalisten, die aufgrund eines vorgefassten Standpunkts Scheinargumente produzieren, Fakten verdrehen, störende Befunde unterschlagen. Gerne will ich annehmen, dass ihnen das einfach nicht bewusst ist. Darin liegt die Hoffnung, sie könnten den doppelten Betrug an der Öffentlichkeit und sich selbst erkennen und vielleicht sogar ihren Standpunkt eines Tages revidieren.

„Lehrer“ war nie ein Wort bloß für Männer

Den folgenden Artikel habe ich für die Berliner Zeitung geschrieben. Der Text unterliegt der Creative Commons Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0), weshalb ich ihn hier ungekürzt zweitveröffentlichen kann.

Eine Studie belegt: Das generische Maskulinum war schon immer geschlechtsneutral. Auch die These, es sei ursprünglich einmal die „männliche Form“ gewesen, wird durch die Untersuchung widerlegt. Mit „männlich“ hat das sogenannte Maskulinum nie etwas zu tun gehabt.

Das Deutsche sei eine „Männersprache“, schrieb die feministische Linguistin Luise F. Pusch 1984. Ihre Thesen wurden von Sprachwissenschaftlern als unhaltbar und unwissenschaftlich zurückgewiesen. Doch sie trugen dazu bei, dass heute manche Menschen glauben, mit „Lehrer“ seien bloß Männer gemeint.

Eine neue Studie zeigt nun, dass Bezeichnungen wie „Lehrer“ im Deutschen schon immer für beide Geschlechter benutzt wurden. Die empirische Studie ist laut den Autoren die erste systematische Untersuchung ihrer Art.

Bereits frühere Forschungen zum Indogermanischen zeigen, dass zwischen grammatischem und biologischem Geschlecht bei Personenbezeichnungen keine Übereinstimmung besteht, berichten die Sprachwissenschaftler Ewa Trutkowski und Helmut Weiß in ihrer Arbeit.

Demnach unterschied man in der indogermanischen „Grundsprache“ bei Bezeichnungen für Menschen, Tiere, Pflanzen und Dinge lediglich zwischen „belebt“ und „unbelebt“. Die Kategorie „belebt“ umfasste also sowohl Frauen als auch Männer. Aus diesem „Genus commune“ entwickelte sich später das sogenannte Maskulinum. Der geschlechtsübergreifende Gebrauch des Maskulinums (das „generische Maskulinum“) im Deutschen gehe auf die indogermanische Zeit zurück, so Studienautor Weiß.

Das sogenannte Femininum sei erst später entstanden und umfasste zunächst vor allem Begriffe für Kollektives und Abstraktes, schreiben die Forscher. Auch einige Personenbezeichnungen gehörten zu diesen ersten Feminina, beispielsweise „lada“ („Frau“) aber auch „xuga“ („Großvater“). „Diese Befunde machen eigentlich schon deutlich, dass sich in der Grammatik die Geschlechterverhältnisse nicht widerspiegeln“, sagt Weiß.

These der feministischen Linguistik widerlegt

Die beiden Forscher analysierten für ihre Studie nun den Gebrauch des Maskulinums in den frühen Epochen des Deutschen. Dazu werteten sie unter anderem Minnelieder, Gedichte, Erzählungen und biografische Sachtexte aus. Der älteste Text datiert auf das neunte Jahrhundert (die „Evangelienharmonie“ entstand zwischen 863 und 871).

„Es zeigt sich, dass Wörter wie ‚Bürger‘, ‚Freunde‘, ‚Nachbarn‘, ‚Gast‘ oder auch ‚Richter‘ schon immer geschlechtsunspezifisch verwendet werden konnten“, sagt Ewa Trutkowski. Damit sei auch eine These der feministischen und der Genderlinguistik widerlegt.

Frühere wissenschaftliche Arbeiten von Vertretern der Genderlinguistik hätten nur Bezeichnungen für Berufe und Funktionen herangezogen, die einst Männern vorbehalten waren, so die Wissenschaftler. „Maurer“ oder „Bürgermeister“ würden dann als Belege dafür angeführt, dass das Maskulinum ursprünglich nur Männer bezeichnet hätte – und erst dann auch als geschlechtsübergreifende Form verwendet worden sei, als Frauen in diese Berufe und Positionen drängten. Dies sei „ein Irrtum und ein gravierender Fehlschluss“, sagt Trutkowski, „das zeigen unsere Befunde ganz klar. Maskulina wurden im Deutschen generell schon immer für beide Geschlechter verwendet.“

Für die Sprachwissenschaftlerin steht nach der Analyse fest: „Es gibt keine linguistisch fundierte Begründung, anzunehmen, dass mit dem generischen Maskulinum eine Benachteiligung von Frauen oder nichtbinären Personen vorliegt. Weder sprachhistorisch noch sprachsystematisch lässt sich eine Diskriminierung nachweisen.“

Vom Gendern, bei dem „Lehrer“ als geschlechtsneutraler Begriff vermieden werden soll, halten die Linguisten aber noch aus einem anderen Grund nichts. Das generische Maskulinum werde von den Menschen ganz selbstverständlich verwendet und verstanden, so Trutkowski. „Es gibt von daher keinen Grund, es durch andere Formen zu ersetzen.“

Die Studie „Zeugen gesucht! Zur Geschichte des generischen Maskulinums im Deutschen“ ist unter https://lingbuzz.net/lingbuzz/006520 abrufbar.

Mehr Gleichberechtigung durch die türkische Sprache?

Die Journalistin Naz Kücüktekin stellte in ihrer Kolumne im österreichischen Kurier jüngst eine bemerkenswerte These auf. Das Türkische könne zu mehr Gleichberechtigung unter den Geschlechtern führen, schrieb sie. Wie kommt die Autorin darauf?

Die türkische Sprache kennt kein grammatisches Geschlecht (Genus), was sie sozusagen „geschlechtsneutral“ macht, wie die Autorin richtig feststellt. Kücüktekins Schlussfolgerung aus diesem Umstand darf man allerdings infrage stellen. Sie lautet: Durch die Genuslosigkeit des Türkischen werde „geschlechtsneutrales Denken ermöglicht“.

Dass die türkische Realität das genaue Gegenteil nahelegt, weiß die Autorin. Und obwohl sie dieses Argument nicht entkräften kann, bleibt sie bei ihrer Annahme. Der simple Scheinzusammenhang „geschlechtsneutrale Sprache, geschlechtsneutrales Denken“ ist offenbar zu verführerisch.

Aber kommen wir zum Kernproblem des Textes. Es besteht darin, wie die Autorin den Stand der wissenschaftlichen Debatte darstellt. Kücüktekin schreibt:

„Wissenschaftlich herrscht Konsens darüber, dass die Sprache auch einen Einfluss darauf hat, wie wir denken und in späterer Folge auch handeln. Dass sich etwa mehr Frauen für Jobausschreibungen bewerben, wenn die Stelle auch explizit in der weiblichen Form angegeben ist.“

Lassen wir einmal außen vor, dass Sprache und Denken riesige Begriffe sind. Es geht Kücüktekin schließlich um die Grammatik, genauer: das Genus und dessen mutmaßlichen Einfluss auf ein Denken bzw. Handeln, das der Geschlechtergerechtigkeit in irgendeiner Weise förderlich oder abträglich sein soll.

Es bedarf keiner aufwendigen Recherche, um zu erkennen, dass es den von Kücüktekin behaupteten wissenschaftlichen Konsens in dieser Frage nicht gibt. Die These ist im Gegenteil hochumstritten.

So erklärt beispielsweise der Sprachwissenschaftler Franz Rainer im Interview mit der Welt:

„Ich halte diese ganzen Behauptungen für völlig überzogen. Und das ist ja irgendwo das Fundament dieser Bewegung: der Glaube daran, dass man durch ein verändertes Sprechen das Bewusstsein verändern kann und dadurch die Wirklichkeit ändern könnte. Das ist vor allem in Bezug auf grammatikalische Kategorien wie das generische Maskulinum völlig verfehlt, denn die verwenden wir ja total unbewusst.“

Der Linguist Hans-Martin Gauger konstatiert in der FAZ:

„Die feministische Sprachkritik überschätzt gewaltig die bewusstseinsbildende Macht einer Sprache.“

Und der Sprachphilosoph Philipp Hübl schreibt in der NZZ:

„(D)ie starke These der Verfechter*innen der geschlechtsneutralen Sprache lautet kurz gefasst: Sprache prägt das Bewusstsein. Diese Auffassung findet sich bei Nietzsche, Adorno und ist bis heute in den Geisteswissenschaften verbreitet. Sie gilt in der analytischen Philosophie und der Linguistik allerdings als äusserst fragwürdig (…)“

Weitere Kritiker der These sind die Linguisten Wolfgang Klein, Gisela Klann-Delius, Heide Wegener, Antje Baumann, Gero Fischer u. a. m. Kurz: Kücüktekins Darstellung ist schlichtweg falsch.

In einem weiteren Punkt ist der Artikel irreführend. Zum vermeintlichen Beleg ihrer These verlinkt Kücüktekin eine Studie, die zeigen soll,

„(d)ass sich etwa mehr Frauen für Jobausschreibungen bewerben, wenn die Stelle auch explizit in der weiblichen Form angegeben ist.“

Tatsächlich zeigt diese Studie nicht, was Kücüktekin behauptet. Sie untersucht es noch nicht einmal. In dem Test ging es darum, ob die verwendete Sprachform bei Positionsbezeichnungen in Stellenanzeigen (generisches Maskulinum vs. Doppelnennung) einen Einfluss darauf hat, für wie geeignet Versuchsteilnehmer Frauen für eine Stelle halten:

„The present study was designed to gain insights into the effects of linguistic forms in job advertisements on personnel selection procedures. Employing a hiring-simulation paradigm, we investigated whether the use of masculine forms in advertisements for a leadership position was associated with a perceived lack of fit for women and whether word pairs could reduce this lack of fit.“

Wurde hier nur falsch verlinkt?

Bei meinen Recherchen zum Thema geschlechtergerechte Sprache habe ich die Behauptung, das generische Maskulinum würde Frauen davon abhalten, sich auf Stellen zu bewerben, oft gelesen, doch bislang keine Studie gefunden, die dies belegen würde. Das beweist natürlich noch nicht, dass ein solcher Beleg nicht irgendwo existiert. Wenn ich es auch stark bezweifle.

Sicher ist vorerst nur dies: Naz Kücüktekins Kolumne zum Gendern der Sprache stellt eine Behauptung auf, die nachweislich falsch ist. Eine zweite Behauptung, die äußerst fragwürdig erscheint, belegt sie nicht. Mit Journalismus hat das nicht viel zu tun.